Nicht für China: Die Henrichshütte Hattingen

Henrichshütte HattingenSchon fast idyllisch gelegen, präsentiert sich das weitläufige Gelände der Henrichshütte Hattingen heute am Ufer der Ruhr. Gegründet wurde die Hütte 1854. Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode besaß bereits mehrere Hüttenwerke im Harz, deren Betrieb aber wegen der altmodischen Holzkohle-Hochöfen nicht mehr konkurrenzfähig war. 1852 reiste der Hüttenmeister Carl Roth für den Grafen an die Ruhr, um dort einen geeigneten Standort zur Errichtung eines neuen Hüttenwerkes zu finden, dessen Hochöfen mit Steinkohle befeuert und dort mit Eisenerz versorgt werden sollten. Der Graf erlebte die Errichtung seines neuen Hüttenwerks nicht mehr, denn er starb 1854 vor der Grundsteinlegung. Ihren Namen erhielt sie deshalb auf Anregung des von ihm beauftragten Hüttenmeisters und ersten Hüttendirektors Carl Roth nach dem Grafen Henrich zu Stolberg-Wernigerode: Henrichshütte.

1855 wurde der erste Hochofen angeblasen, 1856 ein zweiter. Dieser erste Hochofen galt mit einer Tagesleistung von 25 t Roheisen als der leistungsstärkste des damaligen Ruhrgebiets. Da aber die ursprünglich geplanten Investitionen während der ersten Bauphasen bereits deutlich überschritten worden waren, ließ die Rentabilität der neuen Anlage zu wünschen übrig. 1857 wurde die Henrichshütte an die Berliner Disconto-Gesellschaft verkauft. 1859 und 1860 wurden zwei weitere Hochöfen in Betrieb genommen. 1871 verkaufte das nicht im Stahlgeschäft beheimatete Bankenkonsortium die Henrichshütte an die Dortmunder Union. 1873 errichtete man ein Bessemer-Stahlwerk und es folgten neue Hochöfen als Ersatz für die 1855 und 1856 errichteten. Ein Hochofen wurde bei einem Unglück stark beschädigt.

Die Henrichshütte Hattingen hatte viele Eigentümer

Die Henrichshütte wechselte 1904 erneut ihren Eigentümer. Der Lokomitivbauer Henschel & Sohn aus Kassel übernahm und produzierte fortan seinen eigenen Stahl in Hattingen. Es folgten im folgenden Jahr und 1913 Hochofenneubauten, die wieder zu den modernsten im Revier zählten. Der erste Weltkrieg bedeutete gewaltige Produktionssteigerungen und die Belegschaft verdreifachte sich nahezu. 1930 ging die Hütte aufgrund der Folgen der Wirtschaftskrise an Ruhrstahl, einer Gesellschaft der Vereinigten Stahlwerke. zu Beginn der Kriegsjahre wurde ein dritter Hochofen neu errichtet, um mehr Stahl für die Aufrüstung produzieren zu können. Bei diesem Hochofen handelt es sich um den Hochofen 3, der heute noch in Hattingen zu besichtigen ist. Im Zweiten Weltkrieg erlitt auch die Henrichshütte in Hattingen erhebliche Kriegsschäden.

Zwischen 1956 und 1963 übernahm Rheinstahl nach und nach die Reste der Ruhrstahl AG. Hochofen 2 wurde neu errichet und steigerte die Tagesproduktion der Hütte nach einer Modernisierung des Hochofen 3 auf mehrere tausend Tonnen. Zu Rheinstahl gehörten zu diesem Zeitpunkt neben der Henrichshütte in Hattingen auch die Mülheimer Friedrich Wilhelms-Hütte, die Duisburger Eisen- und Stahlwerke in Meiderich sowie der Schalker Verein in Gelsenkirchen. Eine der historisch bedeutenden Spezialanfertigungen der Henrichshütte war in dieser Zeit der Reaktor-Druckbehälter für das erste reguläre Kernkraftwerk Gundremmingen an der Donau (Bayern). Da die Henrichshütte kaum Potenzial für Betriebserweiterungen hatte, suchte sie den wirtschaftlichen Erfolg in der Spezialisierung. Neben Spezialanfertigungen wie dem Reaktordruckbehälter wurden Radsätze für die Bahn, Raketenteile und Castor-Behälter hergestellt. Auch Heizkessel und Schiffsschrauben gehörten zum Portfolio der zuletzt auf schwerste Produkte spezialisierten Henrichshütte. Diese wurden geschweisst oder gleich aus einem Guss gefertigt.

Letzte Station der Henrichshütte: Thyssen

1974 geht die Henrichshütte dann an die August-Thyssen-Hütte. Die letzten Betriebsjahre bedeuten einen schleichenden Niedergang der Hütte. Mitten in einer ausgewachsenen Stahlkrise, erfolgte 1987 schließlich unter massiven Protesten die Stillegung fast der gesamten Hütte. Nur das Stahlwerk produzierte mit Roheisen aus Duisburg noch bis 1993. Die Schmiede wurde zehn Jahre später als letzter Betriebsteil geschlossen. Weite Teile der Henrichshütte Hattingen wurden demontiert und nach China verschifft. Sämtliche Bereiche, die in Hattingen verbleiben sollten, wurden mit dem heute fast schon legendären Aufkleber „Nicht für China“ gekennzeichnet. Denn: „Der Ofen war nicht aus“. Seitdem die Hütte 1989 zu den Standorten des Westfälischen Museums erkoren wurde, begann praktisch eine neue Ära. Es wurde mit besonderer Unterstützung von vielen ehemaligen Mitarbeitern/-innen, die sich in einem „Hochöffner-Treff“ organisiert haben, ein Museum für die Geschichte des Eisenhüttenwesens aufgebaut, das im September 2000 eröffnet wurde.

Von den einstigen vielfältigen Arbeitsstätten, die von der Roheisen-/ und Stahlproduktion über eine Schmiede, eine Gießerei bis hin zu einem Walzwerk reichten, sind nur noch der Hochofen 3 mit den für seinen Betrieb relevanten Gebäudeteilen erhalten. So kann man sich auf den ersten Blick kaum noch vorstellen, daß dort einmal bis zu 10 000 Beschäftigte tätig waren. Dennoch hat das Museum viel zu bieten und es ist möglich rund um Hochofen 3 einen ganzen Tag zu verbringen.